keine feigen mehr…

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es ist 8.33 uhr. ich sitze in einem mobilhome auf dem campingplatz von contrexeville, es ist kalt, tauwasser tropft von den wänden. draußen ist es herbst geworden, die blätter gelben sich schon und es ist morgens neblig.

wir sind am montag von la richarde aufgebrochen und haben die auvergne hinter uns gelassen. als wir über die letzten hügel fuhren, da lag das platte land so weit und unbergig, so langweilig vor uns, zivilisation, häuser, dicht an dicht, eine wahnsinnig weite sicht, aber nur die wolken – so tief und füllig vor blauem himmel aufgehängt – haben uns wirklich berührt. ab da sind die erinnerungen an unsere wanderungen esellos gewesen, ganz anders. alles rückwärts, der einsetzende winter, der erste schnee, die ersten kalten nächte und – ach ja – hier – haben wir doch an halloween (älowi, wird das auf französisch ausgesprochen) übernachtet.

wir haben station gemacht bei michelle und jean, wo wir einen superschönen tag verbracht haben, wir haben ihren sohn besucht, der künstler ist und uns seine kleine, sehr inspirierende ausstellung gezeigt hat, wir haben pilze gesucht und gefunden. wir haben geredet und zusammen gegessen. es war einfach schön. bei unserer abreise haben wir in einem tollen bioladen eingekauft, dem schönsten, den ich in frankreich gesehen habe bisher. und das beaujolais überhaupt – so schön.

und jetzt wird es ernst. und – alles schwimmt. hilfe. wie damals, als unser entschluß stand, auf den jakobsweg zu gehen. wenn es daran geht, die umsetzung zu beginnen, dann wird es spannend, aufregend und manchmal ganz schön ungemütlich.

in schlaflosen nächten frage ich mich, was wir überhaupt in belgien wollen, wieso eigentlich nicht alles ganz normal laufen kann, wie bei anderen familien auch. man muß sich halt ein bischen zusammenreißen. und überhaupt, wer will überhaupt nach belgien? sind wir nicht komplett verrückt, ohne eine adresse ansteuern zu können, dahin zu fahren – und wohin überhaupt in belgien? tausend fragen, die sich vor mir auftürmen.

und gleichzeitig doch die sicherheit, daß es richtig ist, die gewissheit, daß das jetzt der nächste schritt ist. einfach weil es so ist. manchmal ist es so klar, so einfach, so schlicht. und vielleicht auch gerade deshalb so stark, und auch nicht durch bequemlichkeien zu beeindrucken…

wir fuhren an beaunne vorbei, wo unsere gemeinsame wanderzeit mit nicolai und felix endete und wir ein superschönes wochenende mit manckes verbrachten und über den zerfallenden käse auf dem markt staunten. vorbei an all diesen klingenden namen der weinbauregion burgund: nuits st. george, wo adilette uns durch die stadt begleitete und wir in diesem tollen kleinen pilgerchalet mit großem gemüsegarten übernachteten. weiter nach dijon, vorbei an grancey und beze, wo wir eine schöne woche mit meinen eltern verbracht haben im letzten herbst und wo wir mit felix und nicolai gestartet sind.

vorbei an langres, wo wir jolandas 5. geburtstag mit aenne und harm gefeiert haben und weiter in richtung neufchateau, wo gunnar solche hüftschmerzen vom langen anhänger-ziehen hatte.

alle paar kilometer werden erinnerungen wach.

und jetzt – so ist unser gefühl, fängt der jakobsweg nochmal von vorn an. spannend, schön, kribbelig und aufregend.

gestern haben wir dann – nachdem wir die esel untergebracht hatten – eine kleine tour nach vittel gemacht – hier in den vogesen entspringen diese ganzen europa-, vielleicht weltbekannten wasser, vittel, contrex, etc. die perverserweise von nestlé vertrieben werden (wieder ein extrablog…kleines filmchen siehe unter: http://www.youtube.com/watch?v=cYJ4gQFZ1nE , weitere infos unter http://www.bottledlifefilm.com/‎). eigentlich wollten wir in der therme baden gehen, aber es ist hier nicht üblich, daß man sich einfach treiben läßt, sondern man muß im vorhinein anwendungen buchen, merkwürdige regelung… und auch die stadt – nee. muß nicht sein, so mondänes schauspielgehabe, ist irgendwie nicht unseres… fühlt sich fremd und falsch an für uns.

ja. und jetzt gehts weiter. frühstück. schokobrote und apfelkompott. und dann auf die autobahn.

auf bald. und liebe grüße in die immer näher rückende normale welt…
judith

Eine Antwort »

  1. Hallo, liebe Judith, lieber Gunnar, lieber Jakob, liebe Jonna u. Jolanda,
    inzwischen ist einige Zeit vergangen, seit ich auf die Berichte von Dir geantwortet habe, Judith. Hab herzlichen Dank auch für die so schönen Fotos (besonders das mit dem Geburtstagscocktail vor der flatternden Wäsche und mit dem Tomatensalat von Jakob!).
    Daß Dir manchmal ganz mulmig ist in Bezug auf das, was jetzt nach dem Jahr auf Wanderschaft auf Euch zukommt, kann ich sehr gut nachempfinden. Gilt es doch, für euch und besonders für die Kinder
    einen guten weiteren Weg zu finden. Daß ihr den findet, wünschen wir Euch von Herzen.
    Es grüßen Euch alle ganz lieb Ma und Pa

  2. Hallo liebe Heimkehrer
    Ja, es ist schon etwas anders heute, einen Kommentar zu schreiben, einfach deshalb, weil die Situation, die zu kommentieren ist, eine andere als in den vergangenen 13,5 Monaten. Eine gewiß ganz andere, aber keine „schwimmende“, Judith, und wenn Du schon diese Vokabel verwendest dann erinnere ich mich auch gleich an den nächsten Satz, der die gleiche aufgeregte Unsicherheit vor dem Beginn des langen Marsches beschreibt. Und diesen Marsch habt Ihr mit allen Gefahren, Enttäuschungen und Resignationen aber mit viel mehr Freuden, Erlebnissen und Bekanntschaften gemeistert. Dabei habt Ihr alle viel Energie, Überzeugung und Durchhaltekraft generieren können; die wichtigsten Voraussetzungen, immer wieder Eure Zwischenziele und dann auch Santiago de Compostella zu erreichen. Die ganze Reise haben wir, die Kommentatoren mit Hochachtung und Bewunderung begleitet, darauf könnt Ihr, wie überhaupt auf das gesamte Abenteuer stolz sein und das sollte Euch die gleiche Kraft und Zuversicht auch für die Zukunft geben,
    Also, jedes Ende ist ein neuer Anfang. Wenn Ihr jetzt in den nächsten Tagen nach Belgien kommt, werdet Ihr sicher erstmal versuchen festzustellen, ob die bisherigen Fernrecherchen und Überlegungen hinsichtlich der Lebensgewohnheiten und insbesondere der Schule in die Tat umzusetzen sind. Und dann kommt ja bald danach der große Moment Eurer Heimkehr hier nach Bonn. Natürlich freuen wir uns darauf, Euch hier begrüßen und wiedersehen zu können. Ob Ihr dann Bonn oder Deutschland nach 2 Wochen wieder verlasst, wissen wir alle noch nicht. Was wir aber wissen, ist daß wir Euch wie im vergangenen Jahr in Gedanken (und, jenachdem auch physisch) immer begleiten und so gut wie möglich unterstützen.
    Es war, wie ich im ersten Satz geschrieben habe, schon etwas anderes als früher, den Kommentar zu schreiben. Auch wir sind gespannt wie es weitergeht, aber wir sind auch genauso optimistisch. Jakob, Jonna und Jolanda werden voller Neugier, Erwartung, Wünschen und gesteigertem Selbstbewußtsein in die Zukunft schauen. Haltet uns auf dem Laufenden und auch das soll nicht vernachlässigt werden: Gute und gesunde Weiterreise.

    MIO und PAO

  3. Hallo Judith, heute hörte ich, dass Ihr nun schon in Belgien seid und in den Herbstferien nach Bonn kommt. Hoffentlich fühlt Ihr Euch von der Zivilisation nicht erschlagen. Es wird für Euch alle bestimmt eine Zeit der Eingewöhnung brauchen. Dazu wünsche ich Euch, dass Ihr das gut schafft.
    Leider wird es ja jetzt keine Berichte mehr von Eurem aktuellen Leben geben. Aber vielleicht hören wir uns ja mal am Telefon. Alles Gute und viel Glück für die nahe und ferne Zukunft.und an Euch alle liebe Grüße von mir. Renate

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