es ist dienstag abend, ich sitze in der untergehenden sonne auf einem campingplatz in navarranx. wir haben heute hier einen pausentag gemacht, weil wir dringend wieder in unser etwas langsameres tempo schalten mußten und müssen, damit der weg ganz gut bleibt. gestern haben wir – nach einer kurzen, aber extrem heftigen, weil heißen etappe – die freibadsaison eröffnet: wir sind tatsächlich fast alle einmal ins ungeheizte – 19 grad kalte wasser eingetaucht. aber nur ganz kurz und mit zusammengebissenen zähnen.
ich versuche verzweifelt, mich gegen die mücken zu wehren, die gerade über mich herfallen. gunnar hat mal gesagt, man müßte sie einfach mal stechen lassen, sie würden genau auf die akkupunkturpunkte auf den meridianen stechen und uns damit vielleicht ja sogar was gutes tun. zumindest sollte man sie, wenn sie mal angefangen haben, zuende stechen lassen, damit sie am ende ihrer blutsaugeaktion noch das gegengift einspritzen, was die schwellung und den juckreiz mindern soll. – ich weiß es nicht. ich finde es einfach sehr juckig und unangenehm.
es ist eine woche vergangen und schon wieder ist so viel passiert, daß ich mich entschlossen habe, heute den ersten teil zu erzählen und bei gelegenheit dann morgen oder übermorgen die tage, die dann folgten.
also. ich beginne mit dem aufbruch bei mister bricolage, antoine dem pilger, der übrigens keine frau ist, und überhaupt gar nicht die frau von fritz, sondern ein mann, der nach seiner pilgerschaft beschlossen hat, am jakobsweg den pilgern zu „dienen“. sein helfer, jean pierre, ein belgier, kommt mehrere wochen im jahr, um irgendwelche handwerklichen arbeiten zu frikkeln, er spricht für mich völlig unverständlich, ist aber ein netter kerl.
(hilfe – diese mücken!!!)
weil martin ein hufeisen verloren hatte, bestellten wir am montag (29.04.) noch einen hufschmied. ein ganz ruhiger, netter kerl, der martins zweiten huf deferrete (also enteisente, d.h. das hufeisen abnahm – irgendwann in drei wochen kriegen die beiden dann neue schuhe an) und nach ausgiebiger betrachtung von suffix hufen ganz besonnen erklärte, daß suffix eine hufrehe im anfangsstadium hat. hufrehe ist eine entzündung quasi zwischen nagel (=huf) und knochen, die fies wehtut, ganz fix chronisch wird, und dringend erforderlich macht, daß die tiere auf diät gesetzt werden: frisches gras und vor allem kräuter sind eigentlich absolut tabu, die speise der wahl sollte möglichst trockenes heu aus dem letzten jahr sein, möglichst minderwertig. das war eine krasse diagnose, aber er hatte so eine gute art, wie er uns das beigebracht hat und die ruhe, mit der er uns erklärte, – so war das ganze leichter zu verdauen.
mit guten vorsätzen kümmerten wir uns für den nächsten tag um eine herberge, in der wir auch heu für die esel bekommen würden. aber entgegen unseren erfahrungen der letzten wochen war das echt schwierig: wir mußten rund 22 km laufen, um nach dubarry zu gelangen!
der weg dorthin war eine echte strapaze für uns: ich hatte in der gascogne ein fruchtbares land erwartet, felder, durchzogen von kleinen wäldchen, auf denen bauern mit lockigem braunen haaren und frauen mit karierten kleidern das gemüse versorgten. statt dessen ist die region hier total totkultiviert. es gibt felder, riesige felder, in denen in monokultur nur ein wein oder mais oder sonstwas angebaut werden. aber dann wächst da auch nichts anderes: kein hahnenfuß leicht luftig gelb blühend zwischen den weinreben, sondern nur trockene erde. erschreckend. wüstenartig. und richtig weitläufig.
aber es kam noch schlimmer: wir liefen über felder, wieder quadratkilometergroß, die mit irgendwelchen herbiziden totgesprüht worden waren: ganze, ddr-große felder, ganze hügel vergiftet. es stank so ekelhaft wie damals in kinderzeiten, als unsere nachbarn ihre rosen mit blattlausgift besprühten: nur hier sterben nicht nur die blattläuse, sondern das land. richtig nachhaltig wird hier schindluder mit der erde betrieben. ich werde richtig wütend. das kann man doch nicht glauben, daß das wirklich richtig ist. so blöd kann man doch gar nicht sein! und überhaupt: gibt es eigentlich keine instanz, die da dazwischen gehen kann? und sei es die tourist-info, die tausende von pilgern durch diese kontaminierte landschaft schickt? ich checke es nicht. in mir steigt richtiger ekel auf.
aber auch praktische fragen, die sich stellen: auf diesem grund und boden will ich keine lange pause machen. ich habe sogar fast ein schlechtes gewissen, die esel da barfuß drüberlaufen zu lassen. beim einkaufen mit antoine habe ich im leclerc ein ganzes regal voller monsanto roundup gesehen: dieses megagift, ein unkrautvernichtungsmittel, das auf die blätter aufgespritzt wird und die ganze pflanze durchzieht und innerhalb kurzer zeit nachhaltig vergiftet. monsanto liefert auch diverses genmanipuliertes, z.b. mais, was resistent ist gegen dieses herbizit. wunderbar einfach: einfach das ganze feld von allem freipusten und dann monsanto-mais drauf…?!? – und dieses gift ist einfach frei verkäuflich – in der region von moissac sind (hat anne uns erzählt) nach der anwendung rund 20 bauern verstorben, nun steht in der gebrauchsanweisung, daß man bei ausbringen von roundup schutzkleidung tragen muß. und das ganze zum erzeugen von lebensmitteln – ich bin echt entsetzt. zum ersten mal habe ich das gefühl, nicht hier entlang gehen zu wollen, so verachtenswert finde ich dieses prinzip.
manchmal hat man glück, dann ist wenigstens der weg grün…
totgespritzte stinkfelder so weit das auge reicht…
die gite in dubarry ist wunderbar und ganz anders als diese felder. ein kurzes auftanken. und für die esel gibts heu vom nachbarhof.
die kinder werden 3 km vor der gite abgeholt und dürfen mit diesem superoldtimer fahren…
aber am nächsten tag geht es weiter durch diese lebensfeindliche kulturlandschaft und wir passieren aire sur l`adour, die stelle am fluß adour. ich hatte gedacht, daß es die luft über der adour heißt und mir eine malerisch-künstlerische stadt vorgestellt mit geigern am straßenrand und kreidemalern auf dem bürgersteig. aber schon wieder eine enttäuschung: die stadt war erfüllt von der musik eines autoscooters, der im rahmen einer minikirmes alles beschallte. der vorteil: wir konnten nach ewigkeiten des entzuges endlich mal wieder pommes essen. und die waren richtig gut. der nachteil: als wir so friedlich aßen – bemerkte jonna plötzlich, daß wir gleich vor einer stierkampfarena angekommen waren. ja – wir sind im land des stierkampfes – schon! was aber in meinen augen qualvolle (s)tierquälerei ist, ist den franzosen und spaniern ein kulturgut. wieder so eine unglaublichkeit. genau wie die gänsestopfleber. beides grundsätzlich in der eu verboten, aber hier in diesen landstrichen erlaubt! weil es eben tradition ist, den gänsen mit trichtern futter einzuflößen, bis sich ihre leber krankhaft, aber offensichtlich lecker vergrößert. weil es eben tradition ist, stiere so zu provozieren, daß sie um ihr leben kämpfen und doch schon von vornherein verloren haben – 5 lanzen stoßen die matadores in den nacken, die sechste geht durch den nacken ins herz.
ich bin voller abscheu. diese region ist nichts für meine tierliebende bioseele und ich überlege ernsthaft, ob es nicht vielleicht sinnvoll wäre, das auto nachzuholen, einen anhänger zu kaufen, die esel hineinzustellen und dorthin zu fahren, wo die welt und die landwirtschaft in ordnung ist. aber das ist natürlich lächerlich.
(wir zelten am waldrand hinter aire sur l´adour.)
am nächsten tag erreicht mein unmut seinen zenit: wir kommen an stierzuchtbetrieben vorbei und an den zäunen steht „danger“ und hinter den zäunen stehen und liegen friedliche stiere und kauen löwenzahnblüten.
saugefährliche stiere…
lächerlich. wir sehen wieder stierkampfarenen – sogar kleine private, in denen vermutlich zu runden geburtstagsfeiern auch ein stierkampf dazugehört – und das geburtstagskind darf dann den todesstoß tun oder so. widerlich.
und überall hunde, die wild kläffend hinter zäunen oder angekettet hervorspringen, sobald wir in sichtweite kommen. einer kam so wild und von hinten und so laut bellend hervorgesprungen, daß suffix durchging. mit jolanda auf dem fahrrad hinter sich her. sie fiel, das rad flog, er rannte. martin rannte mit. autos überholten uns vorsichtig. keiner hielt an. die männer liefen den pferden hinterher, ich kümmerte mich um jolanda und verband ihr knie. alles lag kreuz und quer auf der straße. mein rucksack, aus dem ich das verbandszeug und desinfektionsmittel (!) holte, das rad, jonna, jolanda und ich saßen mitten darin, alles direkt vor diesem haus, vor dem drei autos standen. ich war so wütend… der hund bellte und ich bellte zurück – irgendwie hatten mich diese ganzen widerlichen erlebnisse geläutert und so schimpfte ich lautstark und in deutsch auf die arroganten bescheuerten franzosen, die in ihren fetten bonzenautos und so weiter. natürlich kam keiner raus, um zu helfen. war ja klar. (ich wär dann vielleicht auch nicht mehr rausgekommen, aber vorher…) aber der hund war plötzlich ruhig und winselte gleich hinter dem zaun. ein reinigendes gewitter.
nach einer pause, in der wir, weil wir nichts anderes mehr zu essen hatten, nudeln kochen wollten, verstopfte unser kocher wegen falschen brennstoffes, der reinigungsdraht brach ab und als wir nach 2,5 h reparaturzeit endlich feuer unter dem topf hatten, da begann es zu regnen.
wir liefen an diesem tag bis pimbo. (es war übrigens am 2.5.) es regnete den rest des tages ohne unterlaß und wir kamen gegen 18.30 uhr in einer gite ohne jeden komfort bis auf eine badewanne an. das heißt, bei dem wetter ist es schon komfort, ein dach über dem kopf zu haben. ich fühlte mich sehr geläutert durch den tag, eigentlich genug für den ganzen jakobsweg – aber bis santiago sind es noch einige viele hunderte kilometer… jolanda war müde, ich wollte sie gerade zu bett bringen, da klopfte es an die tür. die gite hatte 7 betten. sieben. und letzte mögliche ankunftszeit war 18.30 uhr. so dachte ich, daß mit dem klopfen jetzt ein guter engel kommen würde, um uns kuchen und eine massage anzubieten oder so etwas, irgendwas gutes tun müsse. aber pustekuchen: vor der tür standen vier völlig durchnäßte pilger und baten um einlaß.
das toppte den tag mit all seinen mißgeschicken und brachte gleichzeitig die wende. aber das muß ich ein anderes mal erzählen, denn jetzt ist es dunkel, ich bin zerstochen, die mücken sind inzwischen schlafen gegangen und weil wir morgen weiter gehen wollen, muß ich jetzt auch ins bett. ich wünsch euch einen guten tag oder eine gute nacht.
auf bald.
judith